Leseprobe

Auszug aus Kapitel 1
Emmi Ende Februar 1999

Haarscharf flog der dicke Klumpen Rotz an Emmis Bein vorbei und klatschte auf den Asphalt.
Vor Ekel verzog sich ihr Gesicht, als sie sich nach Hellwig umblickte.
Der ließ sich nichts anmerken und ging an ihr vorbei, um einen Einkaufswagen zu holen.
Der Supermarkt war überfüllt, wie jeden Samstagvormittag. Hellwig schob den Wagen,
auf Emmis Kommando blieb er stehen, während sie die Lebensmittel einlud. Es wäre ohne
ihn schneller gegangen, aber Emmi hatte Prinzipien.
„Mutter hat mich gefragt, ob ich ihr beim Schrebergarten helfe nächstes Wochenende“,
sagte Hellwig. Er öffnete den Deckel eines Duschgels und schnupperte daran.
Kokosnuss, registrierte Emmi irritiert. Sie nickte. In ihrem eigenen Garten konnte er
Petersilie nicht von Löwenzahn unterscheiden und wenn er einen Spaten in die Hand
nehmen sollte, bekam er plötzlich stechende Schmerzen in der Herzgegend oder ihm
fiel ein, dass er zu einem wichtigen Termin musste.
„Da ist bestimmt viel zu tun“, sagte sie. Die Vorstellung am Wochenende allein zu sein,
war verlockend. Sie griff nach zwei Flaschen Shampoo und legte sie in den Wagen.
„Wir werden im Gartenhäuschen übernachten, da kannst du mich telefonisch schlecht
erreichen“, erklärte Hellwig. „Ich melde mich, wenn ich weiß, wann ich zurückkomme.“
Er stellte das Duschgel wieder ins Regal.
Sie verdrehte die Augen. Sollte sie im Ernst glauben, dass seine 79-jährige Mutter mit
ihm zusammen auf einer Klappliege schlafen würde, dazu noch um diese Jahreszeit?
„Mach dir deswegen keine Gedanken“, sagte sie. „Ich sehe es ja, wenn du wieder da bist.“
Sie bemerkte ein kurzes Grinsen in seinem Gesicht, wie ein Kind, das gerade etwas
ausgeheckt hatte, ohne entdeckt zu werden.

„Emmi! Wieder mal beim Großeinkauf?“ Emmi suchte gerade in den Tiefen der Kühltruhe
nach Spinat. Sie richtete sich auf und blickte zur Seite. Von rechts kam Beate mit einem
Einkaufswagen auf sie zugefahren.
„Hey, bist du heute ohne Hellwig unterwegs?“, fragte sie vergnügt.
Emmi schüttelte den Kopf. „Der holt gerade Katzenmilch. Übrigens, hast du nächsten
Samstag Zeit? Ich habe eben erfahren, dass ich ein freies Wochenende hab.“
„Das passt gut, ich muss nicht arbeiten. Wollen wir mal wieder Shoppengehen?“
„Gerne, ich war schon ewig nicht mehr in der Stadt. Und sonst? Gibt’s was Neues?“
„Ja, ich hab heute Abend eine Verabredung. Vielleicht wird das mein neuer Tanzpartner,
aber wohl eher nicht, ich verspreche mir nicht allzu viel davon.“
„Wieso nicht?“
„Na ja, eine Frau in der Tanzschule hat erzählt, dass er „Hoppel-Gerwin“ genannt wird.
Er sieht nicht übel aus, wir haben uns letzte Woche schon Mal getroffen, macht auch
so einen ganz netten Eindruck, aber wenn der nun echt so hoppelt beim Tanzen?“
Emmi lachte.
„Warum kann ich nicht einfach mal Typen kennen lernen, die normal sind?“, fragte Beate
mit leidender Stimme.
„Was hast du eigentlich immer an den Männern auszusetzen?“
Beate drehte sich verdutzt um. „Ach, guten Tag auch Herr Stahnke!“
Hellwig grinste. „Stör ich euch beim Lästern?“ Er legte drei Päckchen Katzenmilch in den
Wagen. „Klumpstreu ist im Angebot“, sagte er. „Komm, wir schieben mit dem Wagen hin.“
„Ich ruf dich Freitag noch mal an“, Beate zwinkerte Emmi zu. „Macht’s gut ihr beiden,
schönes Wochenende!“
Emmi glaubte, dass ihre Freundin im Grunde ganz gerne allein lebte und manchmal
beneidete Emmi sie um ihr freies Leben, ohne festen Partner.

Als sie wieder im Auto saßen, den Kofferraum bis oben hin vollgestopft, ließ Hellwig den
Motor kurz aufheulen und fuhr los.
„Kannst du nicht normal fahren, wie andere auch?“ Sie sah zu ihm herüber.
Er schaltete das Radio ein. Emmi klappte den Spiegel herunter und versuchte ihren
Lippenstift nachzuziehen. Die Zeiten, in denen sie Hellwigs Fahrstil sportlich fand,
waren schon lange vorbei.



Auszug aus Kapitel 5
Emmi Juni 1999

„Ich brauche jetzt einen Cognac, trinken Sie einen mit?“, fragte Margitta.
Emmi nickte.
Während sie den Cognac tranken, schien Margitta sich langsam wieder zu fassen,
Farbe kehrte in ihr Gesicht zurück. Sie bedankte sich bei Emmi, dann zahlten
die beiden und verließen den Ratskeller.
Erbost schlug Emmi mit der flachen Hand aufs Lenkrad. Dieser verlogene Hund!
Er muss ihr das Blaue vom Himmel versprochen haben, und die Frau ist auch noch
so blöd ihm zu glauben. Genau so blöd wie ich! Sie hämmerte auf das Lenkrad ein.
Der Satz von Beate fiel ihr ein – „Ein Herzinfarkt wäre das Beste, danach würde alles
dir gehören“. Und was mache ich? Ich rede auch noch auf ihn ein, dass er zum Arzt
gehen soll! Sie startete den Motor und fuhr nach Hause.

Emmi saß am Montagmorgen allein am Frühstückstisch, als sie die Zeitungsmeldung
las: „Rattengift nach 41 Ehejahren, Jäger versucht seine Frau umzubringen!“
In dem Bericht war die Rede von einem Franzosen, der seiner Frau in kleinen Rationen
Rattengift verabreicht hatte, diese war im Laufe der Zeit fast vollständig erblindet
und inzwischen querschnittsgelähmt.
Unfassbar, was Menschen sich gegenseitig antun können, dachte Emmi. Wie kaltblütig,
wirklich erschreckend. Sie sah auf die Küchenuhr und beeilte sich ins Büro zu kommen.

Der Tag verlief ruhig, Emmi fühlte sich wohl bei der Arbeit und war guter Dinge, als
sie sich auf den Heimweg machte. Sie hielt unterwegs beim Baumarkt an, um
Katzenstreu zu kaufen. Während sie mit dem Wagen zur Kasse schob, fiel ihr Blick auf
ein Werbeposter für Rattengift. Sie handelte spontan, als sie einen Verkäufer danach fragte.
Er zeigte ihr mehrere Präparate und erklärte die unterschiedlichen Wirkungsweisen.
Emmi entschied sich für ein Kontaktgift in Pulverform.

Zu Hause ging sie in den Hauswirtschaftsraum, der hinter der Küche lag.
Sie füllte das weiße Pulver in ein leeres Marmeladenglas und stellte es in das vordere Regal
des Putzschrankes. Diese Tür wird Hellwig ganz sicher nie öffnen, dachte sie
und drehte den Schlüssel um...





















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